„Koffer gepackt und überlebt“ - MSS11 diskutiert mit Zeitzeugin Judith Rhodes

„Ich packe meinen Koffer und nehme mit...“ so lautet ein weit verbreitetes Gruppenpiel, bei dem reihum meist skurrile Gegenstände in einen imaginären Koffer gepackt werden. Jeder Mitspieler wiederholt diese und ergänzt das Reisegepäck. Wer einen der Gegenstände vergisst scheidet aus und derjenige, der zuletzt übrig bleibt, gewinnt. Bestimmt hat Sie auch schon mal jemand gefragt, was Sie auf eine einsame Insel mitnehmen würden. Aber was würden Sie machen, wenn Ihnen jemand sagen würde, dass sie morgenfrüh mit einem Zug nach Großbritannien gebracht werden und nur einen Koffer in DIN A 4 Größe mitnehmen könnten?

Was klingt wie das Gedankenspiel in abgewandelter Form, wurde für Ursula Michel Wirklichkeit. Gemeinsam mit einigen anderen Jugendlichen und Kindern wurde die 15-jährige 1939 mit einem Kindertransport von Mannheim nach Großbritannien gebracht und so vor dem Tod bewahrt. Sie war Tochter eines jüdisches Vaters und einer evangelischen Mutter mit jüdischen Wurzeln und verbrachte ihre Kindheit gemeinsam mit ihrer 5 Jahre jüngeren Schwester Lilly in Ludwigshafen, bis die Familie 1938 nach der Reichspogromnacht nach Mannheim umzog. Wenige Monate nach dem Umzug bekam Ursula die Chance auf ein "neues Leben" in England, während ihre Schwester Lilly in Deutschland bleiben musste und später ermordet wurde.

Judith Rodes ist die Tochter von Ursula Michel und sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Erinnerung an das Schicksal ihrer Familie und an das der vielen anderen Juden aufrecht zu halten und darüber zu berichten.

Anknüpfend an die Verlegung der Stolpersteine in Speyer letztes Jahr und passend zum 80-jährigen Gedenken an die Reichspogromnacht am Freitag, kam am 7.11 Judith Rodes zu Besuch an unsere Schule, um unsere Fragen rund um dieses Thema zu beantworten

Bereits im Unterricht hatten wir uns mit dem Thema beschäftigt und Fragen überlegt.Bevor wir mit der Diskussion, geleitet durch vier Schülerinnen der MSS11, begonnen haben, schauten wir uns zuerst einen kurzen Film über Ursula Michel mit dem Titel: "Koffer gepackt und überlebt" an - einen Film, der uns alle sehr bewegt hat und durch den wir gut auf den interaktiven Teil der Veranstaltung eingestimmt wurden.

Ursula Michel habe sich bis zu ihrem Tod verantwortlich und schuldig gefühlt und habe immer nach Erklärungen gesucht, warum sie gerettet wurde und nicht ihre Schwester, so Rhodes auf die Frage einer Schülerin. Außerdem habe sie das deutsche Essen vermisst und die deutsche Sprache nie verlernt. Es sei für sie auch sehr schwierig gewesen, über die schwersten Phasen ihres Lebens zu sprechen, während sie gerne aus ihrer Kindheit und von ihrer Familie erzählt habe. So habe Rhodes erst nach dem Tod ihrer Mutter erfahren, dass diese von der Reichspogromnacht betroffen war.

Natürlich haben wir uns auch danach erkundigt, was Ursula Michel in ihrem kleinen Koffer hatte:

„Sie packte ihren Koffer und nahm mit: ein kleines Reisegepäck, ein Foto und zehn Reichsmark“