Generationen im Dialog: Ex-Ministerpräsident Vogel diskutiert mit den Abiturientinnen Rebecca Blum und Clara Böhm

Verantwortung, Gelassenheit, Leidenschaft, Altersweisheit oder Altersstarrsinn:

Diese Begriffe sind gefallen im Gespräch zwischen dem 84jährigen Politiker Prof. Dr. Bernhard Vogel und den beiden Abiturientinnen Rebecca Blum und Clara Böhm, beide 19 Jahre alt. Sie haben sich in Vogels Wohnzimmer getroffen und darüber philosophiert, was sie in ihren Ansichten – aufgrund ihres Altersunterschiedes – eint und trennt.

Rebecca: Wir sind uns wohl einig, dass wir in einer turbulenten Zeit leben. Wenn wir auf die USA, in die Türkei oder nach Frankreich schauen – da schaudert es einen. Sehen Sie als erfahrener Politiker auch so, oder sind Sie gelassener?

Prof. Vogel: Ich stimme zu, es gibt Probleme in Deutschland, Europa und der Welt – aber das ist nicht zum ersten Mal so. Bei allen Schwierigkeiten von heute: 1945 war es schwieriger anzufangen, oder in der Zeit des Kalten Krieges, die Nerven zu behalten. Deswegen empfehle ich eine wache Gelassenheit und die Bemühung um die Frage: „Wie werden wir damit fertig?“

Rebecca: Der Jugend wird ja immer vorgeworfen, wir seien an Politik uninteressiert, faul, bringen uns nicht ein.

Prof. Vogel: Ich würde freundlicher mit euch umgehen. Viele unserer Wünsche für euch sind in Erfüllung gegangen: Ihr habt ein Dach über dem Kopf, müsst nicht in die Vertreibung oder einen Luftschutzkeller. Aber ihr habt eine Verantwortung. Menschen meiner Generation müssen euch sagen: Ihr seid nicht verantwortlich für das, was geschehen ist, aber dafür, dass es nicht wieder geschieht.

Clara: Aber wir haben andere Themen, die uns wichtig sind. Ich bin zum Beispiel Vegetarierin, und meine Großeltern können das gar nicht verstehen. Ihre Sorge in ihrer Jugend war, genug zu Essen zu haben, unsere Frage ist: Wie können wir gut essen – für die Natur und die Welt?

Prof. Vogel: Dass junge Leute manches anders machen, ist keine neue Erkenntnis. Uns hat man zum Beispiel für verrückt erklärt, dass wir Zeltlager machen. Aber es stimmt, neue Herausforderungen sind unserer Generation manchmal fremd. Wir müssen damit Schritt halten, dass die Welt immer weiter geht.

Clara: Dass sich die Welt so schnell verändert, ist auch für junge Menschen schon fast belastend, z.B. diese Flut an Informationen, die über alle möglichen Kanäle kommen.

Prof. Vogel: Das stimmt. Andererseits:  Ich bemühe mich darum, nicht neidisch zu sein. Aber dass ihr weltweit unterwegs seid und die Welt euch offen steht, darum beneide ich euch. Und gleichzeitig ist die Gefahr groß, dass, je länger der Frieden dauert, desto mehr schwindet die Erfahrung, wie furchtbar Krieg ist.  Diese Kritik habe ich: Essen, Frieden und Wohlstand werden von vielen jungen Menschen zu selbstverständlich gehalten.

Rebecca: Es ist aber auch schwer, Verantwortung zu übernehmen

Prof. Vogel: Ich sehe durchaus, dass die Bereitschaft, sich für Andere einzusetzen, groß ist – das sieht man ja an der Flüchtlingsarbeit. Aber es ist schade, dass sich die Menschen scheuen, langfristig institutionelle Beziehungen einzugehen – auch zu Parteien.

Rebecca: Die sind aber auch so schwerfällig! Ich erlebe Parteiarbeit als extrem statisch…

Clara: …. und das wirkt abschreckend!

Prof. Vogel: Das mag sein. Aber achtet die Notwendigkeit von Strukturen nicht zu gering! Und es geht nicht nur um die Wünsche der Menschen. Es geht auch nicht um die Frage: „Wie hättet ihr es gerne?“,  sondern: „Warum muss das so sein?“ – Die meisten wichtigen politischen Entscheidungen wurden nicht bejubelt, aber haben sich am Ende als richtig erwiesen.

Clara: Hat diese Einsicht etwas mit Ihrem Alter zu tun? Wird man im Alter weiser, geduldiger und kompromissbereiter?

Prof. Vogel: Ich bezweifle, dass man in der Regel weiser wird, dafür kommt der Starrsinn dazu. Aber es gehört zur jungen Generation, dass sie engagierter, kampfbereiter und überzeugter ist. Und das ist gut so.

 

Der Rat von Prof. Vogel an die Abiturientinnen: „Wenn ihr nach dem richtigen Beruf sucht, fragt euch, was euch Spaß macht. Macht es mit Leidenschaft. Lasst euch nicht von Berufsberatern davon abhalten, aber bedenkt auch, dass ihr eines Tages von diesem Beruf leben müsst!“

 

Die großen Unterschiede zwischen Jung & Alt aus Sicht der Abiturientinnen: Wir leben eine unheimliche Diversität. Aber wir tun das bewusst, nicht aus einem Mangel oder Zwang getrieben, sondern immer  mit einem Hintergedanken.

 

Prof. Dr. Bernhard Vogel, ehemaliger Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz und Thüringen. In den Jahren 1955-1965 Bildungsreferent im Heinrich Pesch Haus und immer wieder gerne zu Gast hier.

Rebecca Blum und Clara Böhm, Abiturientinnen am Edith-Stein-Gymnasium in Speyer. Das ZIP begleitet die Schule im Schulentwicklungsprozess „Unser Leitbild soll leben!“