Liebe, Vergänglichkeit und Lust - Oliver Steller bringt Dichtkunst ans ESG

Walther von der Vogelweide, Goethe, Eichendorff oder Benn: Die Welt der Lyrik scheint ein Männergeschäft zu sein. Auch die Lehrpläne machen da wenig Ausnahmen und weibliche Dichterinnen bleiben rar. Einer, der dies erkannt hat ist der Musiker Oliver Steller. Am 1. März besuchte er unser Gymnasium.

Die Abendveranstaltung war Teil des „Edith-Stein-Forums“, eine Veranstaltungsreihe des Freundeskreis unseres Gymnasiums. Ideengeberin des Abends war die stellvertretende Vorsitzende Elisabeth Berkel, die berichtet: „Als ich gelesen habe, dass sich Oliver Stellers neues Programm mit der Lyrik von Dichterinnen befasst, dachte ich, dass ein solcher Abend eine Bereicherung für das ESG als Mädchengymnasium wäre.“

Oliver Steller folgte Berkels Einladung gerne und war gemeinsam mit Bernd Winterschladen nach Speyer gekommen. Steller lieferte dem Publikum Anekdoten aus dem Leben der Dichterinnen, deren Werke er auch rezitierte. Mit der Gitarre in der Hand verlieh er jedem Gedicht seine eigene Melodie, die Winterschladen mit Saxophon oder Klarinette ergänzte. Binnen zwei Stunden nahm Steller das Publikum mit auf eine Reise durch acht Jahrhunderte weiblicher Lyrik.

„Dû bist mîn, ich bin dîn“ („Du bist mein, ich bin dein“) stammt aus dem 12. Jahrhundert und ist damit vermutlich das älteste Exemplar deutscher Liebesdichtung. Dass der Vortrag des Gedichtes so gar nicht an gezupfte Lauten und Mittelaltermärkte erinnerte, war der Verdienst der beiden Interpreten. Ganz nebenbei erfuhren die Zuhörer, dass die Forschung mittlerweile nicht mehr davon ausgeht, dass der Verfasser dieser Verse ein Mann war.

Die Reise durch die Jahrhunderte und die Epochen nahm schnell Fahrt auf, ohne dabei sprunghaft zu wirken: Annette Droste-Hülshoffs Kunst ging nahtlos über in Zeilen von Else Lasker-Schüler. In wenigen biographischen Ausschnitten gelang es Oliver Steller dem Zuhörer ein Gefühl für die Dichterinnen zu geben. Ein Gefühl, das durch seine Rezitation und Bernd Winterschladens Instrumentalbegleitung abgerundet wurde und beim Publikum ankam.

In der zweiten Hälfte bewegte sich das Programm ins 20. Jahrhundert. Ingeborg Bachmann, Ina Seidel und Marie Luise Kaschnitz waren nur einige Dichterinnen, auf denen nun das Augenmerk lag. Die Stärke des Vortrags lag abermals darin, einander unbekannte Dichterinnen nebeneinanderzustellen und so einen roten Faden zu ziehen. Mehr noch: Steller knüpfte eine Bande zwischen Friedrich Hölderlin und Eva Strittmatter oder wusste an anderer Stelle gekonnt Jimi Hendrix ins Spiel zu bringen. Er wechselte vom nachdenklichen zum derben und lauten Ton, er wird ironisch und plötzlich wieder traurig und ernst. Das Publikum lernte in nur zwei Stunden Spielarten kennen, in denen sich Dichterinnen dem Thema Liebe gewidmet haben. Oliver Steller selbst gab sich bescheiden und gab zu: „Vollständigkeit ist nicht das Ziel!“ Vielmehr konstruiere er ein „Kaleidoksop“, das zeige: „Die Lebensräume ändern sich stets, die Themen aber bleiben zeitlos!“ Applaus, Stimmen und Rückmeldungen des Publikums bewiesen: Es lohnt sich den großen Frauen der deutschen Dichtung mehr Gehör zu schenken.